Ausscheidungen oder ich bekomme doch nur ein Kind


- Wenn wir sexuell zu bestimmten Praktiken gezwungen werden, nennen wir das Missbrauch.
Wenn wir unter der Geburt in bestimmte Positionen gezwungen werden, Zugänge gelegt und Hormone verabreicht bekommen und in unserem intimsten Bereich geschnitten werden, nennen wir das Geburtshilfe. -

Ich bin davon überzeugt, dass unser Leben hier auf dieser Erde einigen wenigen grundlegenden Gesetzen folgt. Diese Gesetze wirken auf körperlicher, also physischer oder auch materieller Ebene ebenso wie auf geistiger Ebene. Das findet sich schon in unserem Sprachgebrauch. „Verletzungen“ beispielsweise können wir körperlich als auch psychisch und emotional erfahren. So ist es mit  allen Dingen: Wie außen, so auch innen. Dies ist ein simples Beispiel, dessen Funktionalität auf alle Fragen und Bereiche angewendet werden kann. Aus diesem Grund ziehe ich eine Parallele von der Ausscheidung von Urin und Kot hin zur natürlichen Geburt eines Kindes. Ich möchte dem ganzen Geburtsvorgang damit ein wenig die Abstraktion nehmen. Ich möchte die Geburt als solches ein bisschen aus dem Licht rücken und nicht kleiner aber normaler machen als sie heutzutage dargestellt wird. Ein Kind zu gebären ist eine der natürlichsten Sachen auf der Welt. Neben dem sexuellen Akt in dem das Kind entsteht ist es womöglich die natürlichste Sache überhaupt.

Ein Satz der mir in der letzten Phase meiner vierten Schwangerschaft in den Sinn kam lautete „Ich bekomme doch nur ein Kind!“. Er erschien mir hinsichtlich meiner täglichen Geschäfte die ich auf dem Klo verrichtete seltsam passend. Wenn wir ein kleines oder großes Geschäft verrichten, machen wir im Grunde folgendes: Wir suchen uns einen Ort, der uns für unser Vorhaben passend erscheint. Wir wollen ungestört und in der Regel unbeobachtet und ungehört sein. Wir bringen uns in die Position die uns naturgemäß am besten erscheint und – lassen los. Wir lassen hinaus was hinaus will, helfen mitunter ein  kleines bisschen mit. Was allerdings insbesondere Frauen hinsichtlich ihres Beckenbodens ans Herz gelegt wird: Nicht drücken!
Abgesehen von der Größe dessen, was bei einer Geburt den Körper einer Frau verlassen will und abgesehen von den Kräften die da wirken, damit das auch funktioniert, unterscheidet eine natürliche Geburt sich in den funktionellen und äußeren Vorgängen nicht von der Ausscheidung von Urin und Stuhl. Und abgesehen von wenigen Einzelfällen ist dies ebenso wenig kompliziert oder gefährlich wie der Gang zur Toilette.
Alles was eine Frau braucht, um ihr Kind zu gebären ist ein Ort in den sie Vertrauen hat. Ein Ort, an dem sie sich ungestört und hemmungslos öffnen kann um ihrem Kind den Weg aus ihrem Körper hinaus zu ermöglichen.
Das Ablassen von Stuhl und Urin ist für uns unvorstellbar in einer Situation in der uns jemand dazu anleitet, es zu tun, uns möglicherweise bittet, uns im Liegen zu entleeren. Bereits Neugeborene geben zuverlässige Zeichen bevor sie ausscheiden, um der bezugnehmenden Person die Möglichkeit zu geben, es an einem geeigneten Ort in eine geeignete Position zu bringen. Kein Mensch will sich naturgemäß „einmachen“. Doch um unsere Ausscheidungen loszulassen benötigen wir einen absolut vertrauensvollen Rahmen der all die notwendigen Bedingungen erfüllt die wir benötigen. Wie genau der im Detail aussieht kann jeder nur für sich selbst wissen.

Warum aber ist das so? Das ist ganz einfach. Wir sind in kaum einer anderen Situation so angreifbar und verletzlich wie in jenen Momenten in denen wir etwas gehen lassen. In diesem Moment sind wir nicht kampfbereit, nicht aufmerksam im Außen. Unsere gesamte Konzentration ist in den Ausscheidungsprozess involviert. Wir müssen bewusst etwas öffnen das naturgemäß verschlossen ist. Das erfordert Aufmerksamkeit. Als erfahrene Toilettengänger stellt das im Normalfall kein Problem mehr da. Solange es das eigene Klo ist... Pipi geht in der Regel immer. Öffentliche Toiletten, bei Freunden, im Wald. Groß ist da schon etwas schwieriger. Das dauert länger und man weiß nie so genau was da raus kommen wird. Gestern vielleicht irgendwas gegessen, dass man nicht ganz so gut verträgt, da kann die ganze Sache schon unsicher werden. Außerdem soll ja niemand mitbekommen, das man eben mal kacken war. Im Zweifelsfall und insofern möglich verdrücken wir es lieber und warten bis wir zu Hause sind.
Wenn wir nun schon beim Groß machen so privat sein wollen, ist es doch eigentlich sehr naheliegend, dass wir für eine Geburt ähnliche Rahmenbedingungen schaffen wollen. Es will etwas raus, etwas sehr großes und die Frau muss es hinauslassen. Ganz simpel gesagt ist es erst einmal nicht mehr als das. Es scheint aber so zu sein: Je größer die Sache die da hinaus möchte, umso wohler müssen wir uns fühlen. Während ich auf der Toilette meiner Freundin schon mal mein großes Geschäft erledigen kann, wenn es wirklich gar nicht anders geht, würde ich als Geburtsort doch mehr die eigenen vier Wände bevorzugen, auch wenn ihre Wohnung noch so schön und gemütlich eingerichtet ist.

Eine Geburt kündigt sich an. Ebenso wie Stuhl. Lange bevor das beginnt was man gemeinhin als Geburt bezeichnet. Jede Vorbereitungen die der Körper für den Moment in dem das Kind geboren werden soll trifft, gehört meiner Meinung nach zum – in dem Fall weitgegriffenen -  Geburtsvorgang dazu. Die Senk- und Übungswehen, das stückweise Öffnen des Muttermundes, das Lösen des Schleimpfropfs der den Muttermund verschließt, der vermehrte Stuhlgang in den Stunden bevor es richtig losgeht, all diese Vorgänge und noch viele ganz individuelle, sind die Vorboten des weiblichen Körpers die auf die eigentliche Geburt des Kindes hinweisen. Selbst wenn man, wie ich, zu eher schnellen Geburten neigt, hat man in der Regel genügend Zeit um sich an den Ort zu begeben, an dem das Kind geboren werden soll.

Unter dem Begriff „Ausscheidungen“ fassen wir umgangssprachlich in der Regel Kot und Urin Zusammen. Ein Kind mit in dieses Boot zu setzen erscheint uns eher befremdlich. Fruchtwasser, Eihäute und sowas würde da schon wieder besser passen, oder? Im Grunde ist aber eben auch eine Geburt eine Ausscheidung und funktioniert in der Regel ganz wunderbar insofern wir uns an die natürlichen Grundregeln halten: ein geeigneter Ort, der uns Sicherheit und Vertrauen vermittelt und eine geeignete Position, die uns ermöglicht, das was da raus will, bestmöglichst loszulassen.



(Ausschnitt aus meinem Buch „Selbstbestimmt in Schwangerschaft und Geburt“ – im Frühjahr hier als Ebook erhältlich)

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