Die WUT-MAMA!
- Ich bin eine Zweiflerin, eine
Richtigmacherin. Ich zweifel an mir, an meiner Art meine Mamarolle
auszuführen und ich will alles richtig machen. Immer wieder merke
ich jedoch, dass dieser Ansatz mich wiederholt in die Ver-Zweiflung
stürzt, gefolgt von Frustration und Traurigkeit über das eigene
So-Sein. -
Ich sehe andere Mütter. Liebevolle,
umsorgende, sich selbstaufgebende Mütter. Mitunter gut in passender
und sauberer (!) Kleidung. Aufgeräumt, strukturiert und immer
freundlich. Ja, ich weiß. Ich weiß ja, dass ich genau so gar nicht
sein will. Jedenfalls nicht vollkommen. Ich weiß ja, dass die
Leichen irgendwo bei allen liegen. Dennoch ist etwas in mir auf der
Suche nach der perfekten Mutter – in mir.
Ich bin ein sehr impulsiver Mensch. Ich
trage ein hohes Aggressionspotenzial in mir welches allerdings nur
die Menschen erleben und auslösen dürfen, die mir nahe stehen. Bei
allen anderen Menschen kann ich fast nicht wütend werden. Da kommt
dann einfach nichts. Oder auch innerhalb meiner Herkunftsfamilie, da
kommt nichts. Ich habe es erkannt, durchschaut und analysiert. Wut
und Zorn, negative Gefühle im Allgemeinen wurden wie in den meisten
anderen Familien auch bei uns klein gehalten. Meinen Vater habe ich
nie wütend erlebt. Und meine Mutter hat ihre Wut solange unterdrückt
bis diese Dank des legendären Tropfens mit viel Druck situativ und
unkontrolliert aus ihr herausbrach. Meine eigene Kinderwut wurde
verlacht und als Nachmacherei meiner älteren Schwester abgetan. Ich
wurde nicht gesehen, meine Wut wurde nicht gesehen. Und heute bin ich
oft einfach nur wütend!
Das alles hilft mir aber nicht in
meiner eigenen Mutterrolle. Da sitzt noch immer dieses kleine wütende
Mädchen in mir, das endlich darauf wartet, in seiner Wut gesehen zu
werden. Was also muss passieren? Meine Kinder leben, sind sie selbst,
wild und frei und triggern einfach durch ihr Sosein mein inneres
Kind. Und Mama brüllt los. Wie traurig ist das denn? Oft kann ich es
nicht halten und manchmal will ich es auch nicht. Von Souveränität
keine Spur. Dann stehe ich da und brülle meine kindliche Traurigkeit
und Verlassenheit aus dem Leib, kann mich selbst nicht halten,
verlasse in diesem Moment meine
Kinder, kann sie nicht halten, spüre ihre Angst, Enttäuschung und
Traurigkeit.
Das
ist eine der für mich schlimmsten Situationen die ich als Mama
erleben kann. Ich könnte die aufkommenden Wutgefühle unterdrücken,
natürlich. Doch dann würde ich nichts anderes machen als das was
meine eigene Mutter ihr Leben lang praktiziert hat.
Und vielleicht ihre
Mutter, und vielleicht auch deren Mutter und so weiter. Doch das kann
ich nicht. Es fühlt sich richtig an, diese Kanäle durchzupusten und
diesen unendlich schmerzhaften Druck abzulassen, meiner Wut Platz zu
machen. Ich weiß, dass ich nicht diese Wut bin. Sie ist wie alle der
mir innewohnenden Gefühle und Gedanken ein vorübergehender Teil von
mir. Sie kommt irgendwo her und sie wird irgendwann auch wieder
gehen. Unsere Gedanken und Gefühle sind wie die Wolken am Himmel.
Sie kommen und gehen. Und unsere Rolle dabei ist, sie im
vorüberziehen zu beobachten. Uns nicht daran heften.
Doch wenn ich weiß,
dass ich nicht meine Wut bin, dann weiß ich auch, dass ich nicht
meine Fürsorge bin oder mein Mitleiden. Wenn ich nicht meine
negativen Gefühle bin, dann bin ich auch nicht meine positiven. Was
bleibt dann noch übrig?
Die
negativen Gefühle aufkommen zu lassen um sie spüren empfinde ich
als sehr wichtig. In meinem Fall schlummern sie seit vielleicht 30
Jahren in meinem, wie Eckhardt Tolle es nennt, „emotionalen
Schmerzkörper“. Mein Dilemma dabei ist, dass meine Kinder die
Projektionsfläche für viele dieser negativen Gefühle sind.
Manchmal habe ich aber keine andere Wahl als auszubrechen. Als
alleinerziehende Mama sind mir in vielerlei Hinsicht die Hände
gebunden. Meine Kinder sind rund um die Uhr bei mir. Bei Meditationen
am späten Abend schlafe ich nach fünf Minuten ein. Und ich trage
die Verantwortung für alle Entscheidungen und Abläufe. Ich kann
kein Schrei-Seminar besuchen. Ich kann nicht in eine stille Ecke
gehen um meine Wut zu besänftigen ohne dass ich ein weinendes Baby
im anderen Zimmer zurücklassen. Ich kann mich nicht zurückziehen.
Ich stehe immer auf der Rampe, muss immer hören, zusehen, kochen,
putzen und so weiter. Dieses Rad will am Laufen gehalten werden und
irgendwo bin ich. Ich mit meinen eigenen Geschichten. Ich mit meinen
Themen.
Ich habe keine Zeit
für mich. Ich weiß gar nicht mehr, wie es ist, alleine zu sein.
Manchmal ist diese Belastung unsagbar hoch. Ich bin oft frustriert
darüber, dass ich nicht dazu komme an meinen Projekten zu arbeiten.
Und sei es nur eine halbe Stunde am Tag. Oder dass ich frühzeitig
aus der Badewanne muss weil mein Baby weint. Gleichzeitig weiß ich,
dass mein Leben genau so wie es ist, zu mir passt.
Und dann merke ich
wieder, das es geht. So wie jetzt. Jetzt schreibe ich diesen Artikel,
an einem Freitag Vormittag und die Kinder spielen oder kommen
wahlweise auf meinen Schoß. Heute kann ich das zulassen. Heute
können die Kinder es zulassen. Und eine Sekunde später kann es
schon wieder anders aussehen. Dann werde ich unterbrochen, dann ist
die Konzentration dahin und ich gebe genervt auf.
Ich weiß, dass
meine Kinder keine Schuld tragen. Sie sind richtig wie sie sind. Und
ich auch. Das zu glauben aber fällt mir oft sehr schwer. Und genau
das ist der Punkt. Niemand trägt schuld. Nicht ich, nicht meine
Kinder, nicht meine Eltern und Geschwister. Nicht meine ehemaligen
Lehrer, Mitschüler, nicht mein Exfreund, nicht meine Freundin die
kein Platz für mich in ihrem Leben zu haben scheint. Es gibt keinen
Täter. Und es gibt auch kein Opfer. Es gibt Dinge, die passieren,
Dinge, die uns geschenkt werden um zu reifen, zu wachsen, um uns zu
ENTFALTEN. Es gibt kein richtig und es gibt kein falsch. Es gibt kein
„wenn dies und jenes anders gewesen wäre...“.
- Ja, was wäre
dann? Wir können es nicht wissen. Wir können nur akzeptieren und
annehmen. Die Vergangenheit und das Jetzt. Uns. Und unsere Wut. Egal
wo sie herkommt. Sie ist da, sie will gesehen werden. Also Spot an!
Und sie wird kleiner werden. Weil sie sich im Licht nicht halten
kann. -
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